Puppenspieler in 9. Generation

Puppenspieler in 9. Generation

Roland Richter und sein „Hanauer-Marionettentheater“


Sein Vater Georg Richter hatte ihm die Kunst des Puppenspielens nie erklärt. Er hatte seinem Sohn Roland lediglich „gestattet“, ihm dabei zuzuschauen, denn seine Auffassung war: „Nicht erklären, sondern vormachen, dann lernt man am besten.“ Der gebürtige Hanauer Roland Richter hat gut zugeschaut und von seinem Vater sehr viel gelernt. Der 56-Jährige führt das „Hanauer-Marionettentheater“ in neunter Generation und betreibt heute in seinem Haus im Ortsteil Schwalheim das „kleinste Zimmertheater der Welt mit regelmäßigem Spielbetrieb“.

Marionettenspieler mit „anständigem“ Beruf

Das Theater ist seit 1736 in den Händen der Familie Richter. 1968 taufte Georg Richter, der mit seiner Familie inzwischen in Hanau ansässig geworden war, es auf den Namen „Hanauer-Marionettentheater“. Seine Vorfahren waren noch Landfahrer gewesen und zogen mit ihren Bühnenwagen von Ort zu Ort. Georg Richter hatte in seinem Leben über 300 Schulen besucht und als Einziger seiner Familie einen Volksschulabschluss geschafft. Als er in Hanau beim Einwohnermeldeamt vorsprach, gab er als Beruf „Marionettenspieler“ an. Der Beamte dort fragte ihn, ob er keinen „anständigen“ Beruf gelernt habe – eine verletzende Abwertung. Dennoch wusste Sohn Roland bereits als kleines Kind, dass er die Familientradition fortführen wollte. Einen „anständigen“ Beruf hat er auch gelernt: Nach dem Abitur absolvierte er eine Lehre als KFZ-Mechaniker, entdeckte später seine Leidenschaft für die Tourismusbranche und arbeitete als Fotograf, Reiseberichterstatter, Journalist und Studienreiseleiter. Letztgenannte Tätigkeit übt er auch heute noch aus, weil das Marionettentheater (noch) nicht lukrativ genug ist.

Klassische Märchen und eigene Stücke

Das Hanauer Marionettentheater hat neben klassischen (die meist etwas modifiziert werden) auch eigene Märchen im Programm. So etwa das Umweltmärchen „Der Stromverschwender“ oder das Weihnachtsmärchen „Tobias mit den Zauberkugeln“. Roland Richter möchte nicht nur seine Puppen spielen lassen, sondern er fordert auch zum Mitmachen auf und interagiert mit seinen Zuschauern – Erwachsenen wie Kindern. Solange er sieht, wie die Kinder „rotwangig auf die nächste Szene lauern“ und wie sie es genießen, dass die Figuren direkt mit ihnen sprechen, wird er das Marionettentheater mit derselben Leidenschaft weiterführen wie heute. Wie es nach ihm weitergeht, das weiß er noch nicht. Momentan plant keines seiner drei Kinder das Theater zu übernehmen.

Ein Theaterstück als Geschenk zum Hochzeitstag

Mit seinen großen, mobilen Marionettenbühnen fährt Roland Richter nicht nur zu verschiedenen Locations, sondern er schreibt auch ganz persönliche Stücke zu unterschiedlichen Anlässen. Wie etwa für die silberne Hochzeit einer seiner Reisekunden. Der Ehegatte hatte Roland Richter mit Geschichten und Gegenständen aus dem Leben der Ehefrau und ihrer gemeinsamen Zeit beliefert, die sich im Stück wiederfinden sollten. Am Ende kam ein zu Herzen gehendes Theaterstück heraus, das nicht nur das Paar selbst, sondern auch die Gäste zu Tränen rührte. Diese Momente sind es, die Roland Richter immer wieder in seinem Tun bestätigen.

Hunderte Marionetten in Familienbesitz

Die jetzige Generation der Spielfiguren wird von der Künstlerfamilie Weinhold aus Berlin Köpenick hergestellt. Jede Puppe ist ein handgefertigtes Unikat. Die meisten der Marionetten werden aus Lindenholz angefertigt, weil dieses Material optimal zu formen und dennoch haltbar ist. Insgesamt hat Roland Richter sagenhafte 304 Figuren aus drei Jahrhunderten in seinem Haus.

Bühne im heimischen Wohnzimmer

Roland Richters Tochter Fiona hatte die Idee, eine Bühne im Wohnzimmer des neuen Hauses in Schwalheim aufzubauen. Möbel waren nämlich erst einmal kaum vorhanden, daher war Platz für das „Zimmertheater“. Die Bühne hat eine Fläche von zwei Mal drei Meter und ist knapp 60 Zentimeter hoch. 20 Plätze in unterschiedlichen Kategorien werden im heimischen Wohnzimmer angeboten, vom roten Sofa und Sessel bis zu zwei Barhockern. So gibt es auch unterschiedliche Ticketpreise. Ein Speisen- und Getränkebuffet ist bei jeder Vorführung inklusive, wie auch ein Besuch des „Marionettenzimmers“ im Obergeschoss. Mindestens einmal im Monat geht in Richters Wohnzimmer der Vorhang auf. Den aktuellen Spielplan und Tickets gibt es auf der Webseite unter www.hanauer-marionettentheater.de.

Autor / Autorin
Katharina Wagner
Katharina Wagner
Die Bad Nauheimerin lernt durch das Schreiben für den Blog ihre Heimatstadt noch einmal neu kennen: „Ich treffe interessante Menschen, die Interessantes machen oder zu erzählen haben, und ich bekomme spannende Einblicke in Unternehmen und Einrichtungen, die ich vorher so nicht hatte. Das macht Spaß.“ Katharina Wagner ist freiberufliche Redakteurin (Online, Print, Social Media und TV), seit ihrer Kindheit großer Elvis-Fan und sie lebt mit ihrem Lebensgefährten und den zwei gemeinsamen Kindern in Nieder-Mörlen.